Die knorrige Eiche war schon viele hundert Jahre alt. Weit oben in ihrer weitverzweigten Krone wohnte Jarusch in seinem Baumhaus.

Jarusch war ein kleiner Kerl, der mal gerade so einen Meter hoch gewachsen war. Er hatte große, leuchtend blaue Augen und walnussbraunes, wuscheliges Haar. Auf der Nase hatte er viele Sommersprossen und die Ohren waren ein wenig abstehend.

Sommer wie Winter trug er seine gelbkarierte Hose und dazu seinen blauen Lieblingspullover. Jarusch hatte aber auch etwas ganz Besonderes an sich, etwas Einzigartiges. Dies waren seine kleinen, behaarten Flügel auf dem Rücken.
Doch das Fliegen fiel im schwer. Nur unter allergrößter Anstrengung konnte Jarusch ein paar Meter weit fliegen. Jarusch war, na sagen wir einmal, ein etwas rundlicher kleiner Junge, der viel zu gerne und viel zu viele Nüsse aß. Und aus diesem Grund war er eigentlich zu schwer für die Fliegerei.

Jaruschs Baumhaus lag gut versteckt zwischen Blättern und dichtem Geäst. Es war aus der Ferne überhaupt nicht zu entdecken.
Auch von unten war sein Baumhaus nicht zu sehen, denn Jarusch hatte es ringsherum mit vielen Blättern und Moos beklebt.
Jarusch brauchte sehr viel Baumharz für die vielen, vielen Blätter. Aber die Mühe hatte sich gelohnt und das Baumhaus fast unsichtbar gemacht, dies war wichtig, denn Jarusch hatte große Angst vor den Menschen........

Jarusch aß Nüsse schon zum Frühstück, am liebsten hatte er sie gebraten mit einer dicken Schicht Ahornsirup darüber. „Ich liebe Nüsse!", murmelte er dann kauend vor sich hin.
Das mit den Nüssen war auch der Grund, dass Jarusch zu schwer für die Fliegerei war.
Die meisten Vögel lachten ihn dafür aus, denn es passierte nicht selten, dass er von seinem Baumhaus flog, und mir nichts dir nichts nach unten plumpste.
„Du bist viel zu schwer für die Fliegerei!", sprach die alte unfreundliche Krähe, die in einem hohlen Baum gegenüber wohnte eines Tages.
Jarusch sagte gar nichts dazu. Behäbig und mit gesenktem Kopf kletterte er die wacklige Strickleiter wieder nach oben und schloss traurig den Riegel seiner Türe im Fußboden und träumte von Italien. Wenn Jarusch so vor sich hinträumte, vergaß er sogar manchmal seine mit Ahornsirup angebratenen Nüsse im Topf.

„Bei dir stinkt es aber gewaltig!", rief dann die alte Krähe von gegenüber missmutig und riss Jarusch damit aus seinen Träumereien.

 

 

Winter

Mit roten Ohren und Nase machte Jarusch Feuer. Schon nach kurzer Zeit war der Ofen so warm, dass Jarusch die Nüsse braten konnte.
„Es schmeckt köstlich", schmatzten beide.
„Irgendwie habe ich das Gefühl, dass heute ein besonderer Tag ist, Julius."
„Ist es auch! Komm mit Jarusch! Ich möchte dir etwas zeigen."
Obwohl es draußen schon dunkel war, wollte Julius mit Jarusch irgendwohin fliegen.
„Seit wann fliegst du denn nachts?", wollte Jarusch wissen.

Doch Julius sagte nur: „Wirst du schon sehen, flieg mir einfach hinterher."
Schon nach kurzer Zeit war Malmbach zu sehen. Alle Dächer waren mit Schnee bedeckt und aus den Schornsteinen rauchte es.
„Was sollen wir hier, Julius?", fragte Jarusch beunruhigt.
„Jetzt sei doch endlich still, ich habe doch gesagt, dass ich dir was zeigen möchte."
Julius flog zur Kirche und landete auf einem kleinen Fenstersims an der Kirche. Auch Jarusch konnte hier gut landen.
„Du musst nun ganz still sein, Jarusch", flüsterte Julius und rieb mit seinem Flügel die verschneite Fensterscheibe ein Stückchen frei.
Die ganze Kirche war durch Kerzen erhellt und in den Bänken saßen die Menschen vom Dorf und hatten fröhliche Gesichter.
„Oh, das ist schön, Julius!", flüsterte Jarusch.
In der Mitte der Kirche stand ein großer Tannenbaum mit unzähligen Kerzen und silbernem Lametta dran.
Zwischen den vielen Menschen konnte Jarusch das rothaarige Mädchen entdecken. Für kurze Zeit war es ihm, als blickte sie zu ihm nach oben.
„Was machen die Menschen hier?", wollte Jarusch wissen. „Sie feiern Weihnachten, mein Lieber. Heute ist Heilig Abend, das Fest der Liebe und der Freude!", erklärte Julius still.
„Ich wäre gerne auch dabei, Julius. Es ist alles so schön feierlich und friedlich."
Jarusch konnte sich nicht satt sehen. Am liebsten hätte er sich still und heimlich in die Kirche hinein geschlichen, um mit dabei zu sein.
„Lass uns zurückfliegen, wir feiern auch Weihnachten!", sagte Julius ganz feierlich.
„Wir feiern Weihnachten?", fragte Jarusch ganz aufgeregt. „Aber wie soll das gehen?"
„Wirst schon sehen, lass uns losfliegen."
Als die beiden auf Jaruschs Veranda landeten, schickte Julius ihn schon wieder los, im Wald einen kleinen Tannenbaum zu holen.
Während Jarusch unterwegs war, war Julius damit beschäftigt, aus einem kleinen Stück Aluminiumfolie, dass er unter Jaruschs Bett gefunden hatte, mit seinem Schnabel kleine Streifen zu reißen.
„Da bist du ja endlich", sprach Julius, als er mit einem kleinen Tannenbaum unter dem Arm zurück war.
Jarusch stellte den Baum in einen alten Topf und Julius schmückte den Baum mit seinem selbst gemachten Lametta.
„Der Baum ist wunderschön, Julius."
„Frohe Weihnachten, Jarusch!"

So feierten die beiden Weihnachten. Während das Feuer im Ofen knisterte, erzählten sie sich die schönsten Geschichten, aßen
gebratene Nüsse mit Ahornsirup. Jaruschs Grammophon spielte bis spät in die Nacht das italienische Kinderlied.

„Das war wirklich ein ganz besonderer Abend", sprach Jarusch glücklich, „mein schönster Abend! Vielen Danke, Julius!"